Geschichte

Aus dem Namen Stetten muss abgeleitet werden, dass es sich um eine Ausbausiedlung handelt, die zuerst aus einem oder mehreren Höfen bestand. Die Existenz solcher Höfe und Weiler hing vielmals von der Bebaubarkeit und dem Ertrag des Landes, vom vorhandenen Wasser und auch von eventuellen Bodenschätzen ab.

Stetten hatte gute Voraussetzungen, als Siedlung bestehen zu bleiben. Die relativ ertragreichen Molasse-Schichten, der Wald, die Tonvorkommen, nicht reichlich aber genügend Wasser, liessen den Hof oder Weiler als ursprüngliche Stätte, die später dem Dorf den Namen gab, existieren. Fast zufälliger Natur erscheint die erstmalige Erwähnung eines Ortes namens Stetin. In einer Urkunde vom 1. März 1080 bestätigte Graf Burkhart von Nellenburg die Vergabungen, die er und sein Vater Eberhard dem Kloster Allerheiligen gemacht hatten. Dieser Rechtsakt wurde von 10 Zeugen beurkundet. Einer dieser Zeugen war ein gewisser Picco de Stetin. Sozusagen also der Gründervater!

Stetten scheint von jeher eine von der Landwirtschaft lebende Siedlung gewesen zu sein, die auch den Weinbau betrieb. In den Bremlen muss dieser aber schon Ende des 14./Anfang 15. Jahrhundert aufgehört haben, während er in den Neuwiesen bis ins 19. Jahrhundert und am Schlosshügel bis ca. 1950 betrieben wurde. Dies bezeugen auch Eintragungen mit Rebflächen in alten Karten und Kupferbelastungs-Vermerke in Spezialkarten für Bodenbelastungen. Früher wurden nämlich die Reben massiv mit Kupfer besprüht. Nun, Blauburgunderqualität wird er noch nicht gehabt haben, der alte Stettemer Wein. Er wird eher ein saurer Rebensaft gewesen sein. Heute werden die schön nach Süden geneigten Hänge nicht mehr für den Weinanbau sondern für die Einfamilienhäuser gebraucht! Irgendwo müssen sie ja leben, die mittlerweile rund 1370 Einwohnerinnen und Einwohner.

Neben den Klöstern Paradies und Allerheiligen besassen das Kloster St. Agnes zu Schaffhausen und mehrere Schaffhauser Bürger grundherrliche Rechte. Die Vogtei über die Güter von St. Agnes ging bei der Aufhebung des Klosters an die Stadt über; den zur Burg Herblingen gehörenden Teil der Vogtei über das Dorf erwarb die Stadt Schaffhausen im Jahre 1534. Stetten, als territorial dem Hegau zugehörig, stand wie die übrigen Reiatdörfer unter der hohen Gerichtsbarkeit der Landgrafen Nellenburg/Tengen, bzw. später dem Erzhaus Österreich.

Das Niedergericht übten die Grundherren oder deren Schirmherren aus. Erst 1723, mit dem Erwerb der hohen Gerichtsbarkeit Schaffhausens über den Reiat, wurde die Gemeinde Stetten ganzheitlich dem Kanton Schaffhausen zugehörig.

Wie die heute gültige Banngrenze entstand, ist nicht genau bekannt. Berslingen und Thayngen sowie die Rodungssiedlungen Lohn und Büttenhardt haben vermutlich einer starken Entwicklung und Ausdehnung Stettens entgegengewirkt. Die einzige Gebietserweiterung konnte mit der Übernahme des Schlossbannes 1825/26 vorgenommen werden. Heute ist Stetten mit 473 ha Gesamtfläche eine moderne Gemeinde unseres Staatsgefüges.

Stetten war bis in die fünfziger Jahre ein armes Dorf, dessen Bewohner zum grössten Teil von der Landwirtschaft lebten. Schon Mitte der 50er Jahre wurden die ersten Städter auf die schöne Wohnlage Stettens aufmerksam. Mit dem Einsetzen einer immer besser werdenden Wirtschaftslage und mit wachsender Mobilität der Bevölkerung wurde der Wunsch des Wohnens auf dem Lande aktueller. Bauland in Stetten war gefragt, eine rege Bautätigkeit setzte ein, die sich bis heute fortsetzt. Alte Bauernhäuser wurden gekauft und mit grossem Aufwand renoviert und ausgebaut. Die ersten "Stadtflüchtlinge" bezahlten noch 50 Rp. für den Quadratmeter Bauland! Eine gewaltige Steigerung zu den heute bis zu 500 Fr. / m2 Bauland an attraktiver Lage!

Schon 1964 wurde eine erste Bauordnung erlassen. Der Gemeinderat war bestrebt, die Bautätigkeit im Griffe zu behalten. 1969 begann, parallel zur Güterzusammenlegung des landwirtschaftlichen Landes, eine Baulandumlegung, die die 47 ha grosse Bauzone neu ordnete.

1973 wurde die Kanalisation der Gemeinde der ARA Röti angeschlossen. Um eine unkontrollierbare, unsystematische Überbauung zu verhindern, wurden und werden immer relativ kleine Wohngebiete oder -zonen erschlossen. Gleichzeitig besteht damit Gewähr, dass die Gemeinde nicht zu schnell wächst und die Neuzuzüger Gelegenheit finden, sich zu integrieren. Die letzte grosse Neuerschliessung umfasste das Gebiet Schalmenacker am östlichen Rand des Dorfes. Hier wurden in zwei Etappen insgesamt 100'000 m2 Bauland der Bebauung zugeführt (70'000 m2 und 30'000 m2).

Stetten ist heute ein typisches Wohndorf. Man schätzt die Stadtnähe, den ausserordentlich tiefen Steuerfuss (65%) und die ruhige, ländliche Umgebung. Die Landschaft ist grün und die fantastische Fernsicht sucht seinesgleichen. Von den Österreicher Alpen bis zum Moléson in den Freiburger Alpen schweift der Blick bei föhnigem Wetter. Es gibt sogar Stettemer, die behaupten, sie hätten schon bei ausserordentlichen Föhnlagen den Mont Blanc gesehen!

Der grösste Teil der heutigen aktiven Wohnbevölkerung findet seinen Arbeitsplatz auswärts. Nur wenige arbeitet in der Gemeinde, sei es in der Landwirtschaft, in den wenigen Gewerbebetrieben des Dorfes oder in der Schule. Die Gefahr, dass Stetten zur Schlafgemeinde wird, ist sicherlich im Ansatz vorhanden. Der Gemeinderat und ein grosser Teil der Bevölkerung sind sich dieser Gefahr wohl bewusst. Alle diese Leute bemühen sich darum, das Dorfleben aktiv zu gestalten, den Bewohnern Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen. Die Stettemer Chilbi am 1. Sonntag im Mai sowie der 1. August sollen darum Dorffeste sein.

Mit dem Bus fahren die Stettemer Kinder in die weiterführenden Schulen in der Stadt. In den letzten Jahren hat in Stetten erneut eine rege Bautätigkeit eingesetzt.

Die Feuerwehr (geführt als Feuerwehrverband VOR Oberer Reiat) ist zu einem gesellschaftlichen Treffpunkt geworden, ohne dass die primären Aufgaben vernachlässigt würden. Fast alle Frauen nehmen erfreulicherweise die Gelegenheit wahr, im Landfrauenverein dabei zu sein. Die Anlässe der Dorfvereine bilden eine willkommene Gelegenheit, einander und das Dorf besser kennenzulernen. In der wunderschön gelegenen Reiatgemeinde herrscht emsiges Treiben, haben sich doch viele Familien mit Kinder hier niedergelassen. Ab 2004 wurde das neue 100'000 m2 grosse Baugebiet Schalmenacker im Osten des Dorfes erschlossen. Parallel dazu wurde eine neue, moderne Siedlungsentwässerungsanlage gebaut mit den Elementen Retentionsbecken und Regenstapelbecken. Der Anschluss ans städtische Erdgasnetz konnte ebenfalls realisiert werden. Im Gebiet Schlossholz wurde zudem ein Amphibiengebiet von nationaler Bedeutung aufgewertet mit neuen flachen Weihern, die den seltenen Springfrosch und Laubfrosch Lebensraum bieten sollen.

Stetten - eine moderne, attraktive Gemeinde in unmittelbarer Stadtnähe, in der es sich zu leben lohnt!

Dass die Gemeinde Stetten schon im 18. Jahrhundert «ihr Zeichen» hatte, erfahren wir durch die Gemeinderechnung von 1749: «30 kr. dem schumacher von denen fürküblen zeichen; 1766/67 40 kr. von den fürküblen zu zeichnen.» Was für eine heraldische Figur dieses Zeichen war, ob vielleicht nur Initialen, wissen wir nicht. Wir lernen das Symbol erst erkennen, als sich Stetten 1820/21 ein Siegel anschaffte: «3 gl. 30 kr. vor ein gemeind büschet lt. conto.» Dieses Gemeindesiegel (Höhe 31 mm, Breite 28 mm) zeigt in seinem Oval eine liegende Mondsichel und trägt die Umschrift: GEMEINDE STETTEN CT. SCHAFFH. Wahrscheinlich lautete diese damals anders, vielleicht Gemeindegericht Stetten, wie in jener Zeit üblich, denn das Siegel wurde 1855 für 8 fr. 50 abgeändert. Im 19. Jahrhundert folgten noch weitere Siegelanschaffungen, so 1840 «ein gemeind-siegel vors fridensrichteramt» 4 Gulden; 1855 «einem hebräer gravör für ein sigel vor die waisenbehörde»; 1864 zwei weitere Gemeindestempel. Alle haben die gleiche Figur, die Mondsichel. Dieses Symbol, zum eigentlichen Wappenbild geworden, wurde auf kommunalen Objekten angebracht.

Wie Stetten zu einer Mondsichel gekommen ist, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Vielleicht diente als Vorbild eines der Wappen von Schaffhauser Amtsleuten, die als Obervögte, Klosterpfleger usw. Akten besiegelten, oder in Stetten Grundbesitz hatten. Diese These wird erhärtet durch die Tatsache, dass bei einer Grenzbereinigung zwischen den Gemeinden Büttenhardt und Stetten der ausgehandelte Vertrag für die Gemeinde Stetten im Jahre 1807 von Ratsherr Johann Heinrich Seiler mit seinem Siegel mit Mondsichel beurkundet wurde.

Eine Sage aus dem Reiat

verfasst von Vroni Bettschen anlässlich der 900 Jahr Feier im Jahre 1981

Vorwort

Aus dem Gemeindewappen Stettens leuchtet ein Halbmond. Kein normaler Halbmond lächelt uns entgegen, nein, er liegt auf dem Rücken, so als hätte man ihn mit Gewalt in diese missliche Lage gebracht.

Auswärtige wundern sich gelegentlich darüber, meinen dann aber oft: Da wird der Wein daran schuld sein; die lieben Stettemer werden zu tief ins Glas geschaut haben. Nach ein paar Gläser Rotem werden sie den Mond nicht mehr so deutlich sehen und ihn deshalb in der Waagrechten bestaunen.

So oder ähnlich wird wohl die Herkunft ausgelegt werden. Liegen aber sah ihn noch niemand! Der wirkliche Grund aber, warum Stetten dieses Wappen besitzt, liegt Jahre zurück. Damals war Stetten ein kleines Dorf mit nur ein paar Dutzend Seelen. Ihr Vorstand, der Gemeindepräsident, der das Geschick der Gemeinde zu lenken verstand, war auch immer dabei, wenn es etwas zu lachen gab. Alle mochten ihn gern.

Ein Leben auf dem Lande

Man schrieb den Sommermonat Juli. Der Abend senkte sich über den an der Krete des Reiats gelegenen Fleck Erde, der Stetten genannt wurde. Seine Bewohner waren fleissige Bauersleute. Manch ein Schweisstropfen rann bei der schweren Feldarbeit über die heisse Stirn. Der stetig säuselnde Wind brachte für die Arbeitenden Linderung, trocknete aber gleichzeitig die Erde aus und machte sie rissig und hart. An diesem Abend fuhren die mit Korn beladenen Wagen dem Dorf zu. Von weitem vernahm man die pustenden Pferde. Würzig vom Getreide und von unzähligen Kräutern und Blumen hing die Luft zwischen den Giebeln.

Ein letzter Sonnenstrahl stahl sich zwischen zwei Häuserecken hervor und verwandelte die Dorfstrasse für einen Augenblick in ein Märchenland. Im Hintergrund standen die stattlichen Bauernhäuser mit mächtigen Balken und schweren Toren. Eines davon gehörte dem Bürgermeister. Er sass am Tisch, die Beine weit ausgestreckt. Das Fenster stand offen und so vernahm er die alltäglichen wohlvertrauten Geräusche: Scheunentore, die unsanft zugestossen wurden, das Gieren der Eisenringe, wenn die Knechte die Pferde ausspannten, lachende Kinderstimmen und das Plätschern des Dorfbrunnens. Lena, seine Frau hantierte in der Küche. Geschirr klapperte und bereits strömte ein köstlicher Geruch durch die Ritzen der Wand. Im Grunde seines Herzens wusste er recht gut, dass ihm eigentlich nichts fehlte, um glücklich zu sein: Eine herzensgute Frau, einen gesunden lebhaften Sohn, einen Hof konnte er sein eigen nennen. Trotzdem plagte ihn in letzter Zeit eine Frage, ob seine Bürger zu ihm, dem Bürgermeister Fritz, Vertrauen hatten; ob sie durch dick und dünn zu ihm halten würden.

Konnte man denn nicht auch eine Gemeinde prüfen? Seine Frau wies seine Gedanken energisch zurück: Was fällt dir nur ein, deine Mitmenschen herauszufordern. Siehst du denn nicht, dass jeder sein Bestes gibt? Fast könnte man glauben, du hättest zu wenig zu tun, dass du dich mit derartigen Grübeleien befassen kannst! Für Fritz selbst blieb es dabei, dass er wissen wollte, wie und wo er seine Leute auf Herz und Nieren prüfen konnte.

Nach dem Nachtessen in der Küche verweilte Fritz nochmals in der Stube. Er trat ans Fenster. Mittlerweile war es vollends Nacht geworden. Eine grosse Ruhe lag über dem Dorf. Unzählige Sterne glänzten am Firnament, und eine Mondsichel leistete ihnen Gesellschaft. Wie er so in sich gekehrt in den Nachthimmel starrte, schoss Fritz ein Gedanke durch den Kopf, so gewaltig, dass er sich am Fenstersims festhalten musste. Hier lag ja die Antwort, die er suchte, bei der Mondsichel. Tatsächlich fehlte nur ganz wenig, dann würde sie liegen. Wenn er einfach erzählen würde, er hätte sie liegend gesehen. Wer würde ihm glauben? Ja, das nähme ihn wunder! Da müssten seine Freunde und Mitmenschen einmal leer schlucken, überlegen und dann antworten: Wenn der Fritz, der Herr Bürgermeister, den Mond in einer klaren Nacht liegen gesehen hat, dann wird es wohl stimmen! Eine Zeitlang müssten sie wohl in der Klemme sitzen, bis der Scherz durch ihn geklärt würde! Das war's: Die Idee vom liegenden Mond! Fast musste Fritz in die stille Nacht hinauslachen, wenn er an die verdutzten Gesichter von den Waldvogels, Bührers, Brunners dachte, die sie bei der Eröffnung seiner Geschichte machen würden. Vor lauter Aufregung über die Idee hatte Fritz seine Müdigkeit vergessen und erst jetzt merkte er, dass seine Beine müde und schwer waren. Glücklich über seinen Einfall setzte er sich auf das Ofenbänklein und begann die Einzelheiten seiner Idee zu durchdenken. Nach einigen Minuten fielen ihm jedoch die Augen zu. Der Halbmond liess ihm sogar im Schlaf keine Ruhe: Fritz sah sich im Traum am Fenster stehen. Da bewegte sich plötzlich etwas hinter dem Brunnenrand. Fast schwerelos bewegte es sich und wiegte sich leicht im Wind. Und siehe da: Noch mehr solch durchsichtige Wesen tauchten von überall her auf. Es mussten Elfen sein! Manchmal kamen sie ihm so nahe, dass er sie hätte berühren können, doch seine Arme hingen wie Blei an ihm herunter. Wie die Elfen gekommen waren, so schwebten sie fort. Doch da sah er die erste Elfe wieder. Sie sass auf dem Rande des Brunnens, ein blitzender Gegenstand lag in ihrem Arm. Donnerwetter, ein Halbmond war's, und richtig, er war vom Himmel entfernt worden. Die Elfe schaukelte den Mond in ihren Armen und hielt ihn plötzlich waagrecht zwischen den Fingerspitzen. Da erhob sie sich und schwebte langsam Fritz entgegen. Als das Wesen in seine Greifnähe kam, nahm er all seine Kraft zusammen, um das herrliche Wesen zu umarmen. Doch in diesem Moment ertönte von weit her eine vertraute Stimme und riss ihn in die Wirklichkeit zurück. Es war Lena. Als Fritz nach Mitternacht noch nicht zu Bett gekommen war, stieg Lena ins Erdgeschoss herunter. Da sah sie ihren Gatten auf der Ofenbank liegen. Sie rief seinen Namen. Langsam erwachte Fritz und schaute Lena gross an: Du bist es? Keine Elfe? Ach, ich hatte einen gar sonderbaren Traum, da ging es hoch her und zu. Fritz richtete sich Iangsam auf und fügte entschuldigend hinzu: Lass uns nach oben gehen und schlafen. Da verliessen sie die Bauernstube. Am Himmel aber hing eine blasse, schmale Mondsichel.

Die fixe Idee des Bürgermeisters

Mit dem Schrei des Güggels und den darauffolgenden zaghaften Sonnenstrahlen erwachte am nächsten Morgen das kleine Reiatdorf. Mägde trugen Wassereimer zum Brunnen, und Knechte hantierten laut pfeifend in den Ställen. Auch im Haus des Bürgermeisters strömte schon herrlicher Kaffeeduft von der Küche bis hinauf ins kleinste Dachzimmer. So erhob sich auch Fritz nach der kurzen Nacht und überlegte sich wo, wie und wann er seine Geschichte zum Besten geben wollte. Er sann den ganzen Tag darüber nach und schliesslich entschied er sich die Geschichte am Abend im Wirtshaus an den Mann zu bringen. Am Abend sassen die Männer von Stetten in der Sonne und diskutierten über alles Mögliche. In einem günstigen Moment wandte sich Fritz mit einem Räuspern an die Bürger von Stetten. Hört! begann er, eine ganz sonderbare Geschichte muss ich euch erzählen. Gestern sah ich ganz zufällig zum Stubenfenster hinaus. Wisst ihr, was ich zu sehen bekam? Einen Mond, eine Sichel war es nur, und sie legte sich für kurze Zeit in die Waagrechte. Auch als ich dachte, du siehst schlecht Fritz und mir über die Augen rieb, lag der Mond immer noch auf dem Rücken. Was sagt ihr dazu? Habt ihr letzte Nacht nicht auch an den Himmel geguckt? Voller Begeisterung hatte Fritz seine Mondgeschichte erzählt und wartete nun gespannt auf die Reaktion. Einige Sekunden blieb es still. Verblüffte, belustigte, erschrockene oder unschlüssige Gesichter sahen ihm entgegen. Plötzlich sprachen alle durcheinander: Fritz, du hast ein Gläschen zuviel getrunken, oder bist du mondsüchtig geworden, oder hast du den Verstand verloren? Fritz antwortete immer dasselbe: Ich kann euch nur sagen, die Mondsichel lag wirklich! Könnt ihr mir nicht glauben? Leider, leider, das konnten sie nicht! Keiner glaubte ihm! Für Fritz war diese Niederlage mehr als nur eine Enttäuschung. Trotzdem wollte er nicht klein beigeben. Irgendwer würde ihm schon beipflichten. Die Wanduhr der Wirtsstube schlug zwölf. Allmählich wurde es Zeit aufzubrechen. Minuten nachher stand die Gesellschaft draussen und verabschiedete sich. Jakob klopfte Fritz auf die Schulter: Fritz adieu, vergiss den Mond. Es ist sicher besser. Wir alle sind doch Zeugen, dass er nicht liegt! Schau nur in den Himmel! Ja, heute ist nicht gestern! widersprach Fritz. Doch keiner glaubte ihm. Mit grossen Schritten und einem unguten Gefühl schritt Fritz nach Hause.

Die folgenden Tage waren für Fritz und Lena keineswegs erfreulich. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Kunde vom liegenden Mond verbreitet. Natürlich war ein grosses Rätselraten im Gange, warum wohl Fritz diese komische Idee ihnen glaubhaft machen wollte. War er doch sonst ein so unkomplizierter, heiterer Mensch gewesen. Nur eines konnte in Betracht kommen: Fritz war krank geworden. In seinem Kopf musste irgendeine Funktion ausgefallen sein. Darum erklärten sich zwei Männer bereit in die Stadt zu fahren, um den Arzt zu befragen. Der Arzt versprach in den nächsten Tagen, Fritz einen Besuch abzustatten. So verliessen die beiden Männer den Arzt wieder. Eines Abends klopfte der Arzt an die Tür des Bürgermeisters, der sein Freund war. Marie, die Magd des Hauses öffnete die Tür und führte ihn in die Stube. Lena und Fritz waren nicht wenig überrascht, als ihr Freund eintrat. Herzlich willkommen, Traugott! Das ist dir wieder einmal gelungen, uns ins Staunen zu versetzen. Komm setz dich! Ganz meinerseits, Fritz und Lena! Endlich sehen wir uns wieder. Die Stunden verrannen. Man hatte einander so viel zu erzählen. Bis ein fernes Donnerrollen Traugott aufhorchen liess. Da muss ich langsam Abschied nehmen, falls es heute noch ein Gewitter gibt! meinte er. Fritz führte Traugott zum Stall hinaus, wo sein Pferd schon unruhig im Heu scharrte. Hör Fritz, bevor ich wegfahre, möchte ich dich noch etwas fragen. Eine komische Geschichte macht die Runde. Man hat sie mir einmal so nebenbei erzählt. Ich glaube natürlich kein Wort davon. Also erzähle, was hat das mit dem Mond auf sich? So kam es, dass Fritz seinem Freund Traugott die Mondgeschichte erzählte, und dass hinter dem Scherz eine Prüfung versteckt war – und dass keiner sie bestanden habe. Alle meine Freunde glauben, ich sei verrückt worden! fuhr Fritz weiter. Ja, mein Guter, was hast du dir da eingebrockt. Du hast fantastische Ideen, daran zweifelt ja niemand. Nur eines hast du dabei vergessen: So wie du deine Freunde prüfen wolltest, so prüfen sie jetzt dich. Der Spiess hat sich gedreht und du sitzest im Schlamassel. Darum mein Rat: Bring wieder Ordnung in die Gemeinde, böse Worte geben bald böses Blut. Jetzt musst du nicht denken, Fritz, ich halte dir einen Vortrag, der dich ja nichts angeht. Ich möchte dir damit helfen. Kläre die Missverständnisse auf, je eher, desto besser. Fritz räusperte sich: Ich glaube, du hast recht. Wie die Lage nun aussieht, müsste ich mich eigentlich schämen. Gib mir noch einige Tage Bedenkzeit, Traugott, bis dann weiss ich auch, wie ich mich entschuldigen soll. So tragisch ist die Sache nun auch wieder nicht. So, und nun adieu mein Freund. Traugott stieg auf den Wagen und verliess das Gehöft des Bürgermeisters. Am Dorfausgang wurde er von ein paar Bürgern aufgehalten. Sie wollten Auskunft über den Gesundheitszustand des Bürgermeisters erhalten. Traugott erklärte ihnen: Euer Bürgermeister ist kerngesund. Was er im Moment brauchen könnte, wäre ein wenig Geduld. Das ist eigentlich alles. Ohne weitere Erklärungen abzugeben, fuhr der Arzt mit Pferd und Wagen davon.

Die Frauen versuchen ihr Glück

Wohl hatte der Besuch des Arztes dazu beigetragen, dass die Bürger von Stetten nachsichtiger und geduldiger mit ihrem Bürgermeister umgingen. Doch sie hegten nach wie vor Zweifel und konnten ihn nicht verstehen. Im Dorfe war es so üblich, dass am Abend die Bauersfrauen selber zum Brunnen gingen, um Wasser zu holen, und ein Plauderstündchen abzuhalten. Es gab immer etwas zu erzählen. Kam bei diesem Getuschel Lena dazu, wechselten die Frauen schnell das Thema. Lena war nicht so dumm, dass sie dies nicht bemerkte. Bald fehlte sie am Dorfbrunnen. Marie sah, dass ihre Meisterin nur noch die Haustür verliess, wenn es nicht anders ging. Sie tat ihr so leid, und sie beschloss etwas zu unternehmen. So nahm Marie nicht nur ihr Herz, sondern auch den Schöpflöffel, in beide Hände und ging damit zum Brunnen. Sie wünschte den anwesenden Bauersfrauen einen guten Abend und begann Wasser zu schöpfen. Zur Hälfte füllte sie den Eimer, dann reckte sie sich: Entschuldigen Sie mich alle, dass ich sie unterbrochen habe. Was ich sagen muss, liegt mir sehr am Herzen. Sicher haben Sie bemerkt, dass die Frau Bürgermeister des Abends nicht mehr hierher kommt. Sie leidet nämlich unter der Geschichte vom Mond. Ich habe lange über alles nachgedacht und glaube jetzt zu wissen, was der Herr Bürgermeister mit der Geschichte erreichen wollte. Und zwar: Dass wir ihm beistehen und ihm Vertrauen schenken sollten, auch unter den unmöglichsten Bedingungen. Jetzt, wo er so etwas von uns verlangt, kehren wir ihm den Rücken zu. Wir müssen ihm nun auch helfen. Die einen Bauersfrauen waren empört ob solch einer Rede von einer Magd. Da ergriff Mathilde das Wort: Das haben Sie gut gesagt, Marie. Soweit habe ich, und wahrscheinlich ihr alle, noch nie gedacht. Wo Sie das aber sagen, ist es mir klar geworden, dass wir dem Bürgermeister helfen müssen. Das Wort "helfen" wirkte Wunder. Plötzlich war jede bereit zu helfen, und alle redeten durcheinander.

Die Bauersfrauen berieten. Schliesslich kam ein Vorschlag von Frieda: Man könnte doch den Ehemännern klar machen, dass die Geschichte vom Mond gar nicht so abwegig sei. Man müsste ihm die Geschichte jetzt einfach glauben. Der Herr Bürgermeister sollte aber trotzdem einen Denkzettel erhalten, und nicht ungeschoren davonkommen für den Aufruhr, den er angezettelt hatte! Wie sollte man aber einem Bürgermeister einen Denkzettel verpassen. Einen Mond auf die Eingangstüre malen ein Bild anfertigen ein Brot backen in Form eines Mondes einen Wandbehang nähen! Das waren die Vorschläge für die Strafe. Von der Idee einen Wandbehang zu nähen, waren die Frauen begeistert. Der Wandbehang sollte den liegenden Mond darstellen. Weiter wurde beschlossen, dass der Bürgermeister den Wandbehang über seinem Bett aufzuhängen hatte. Nun tauchte das nächste Problem auf: Woher den Stoff nehmen, denn dieser war teuer. Aus Resten natürlich, rief eine Stimme. Woher die Resten? rief eine andere. Schliesslich beschloss man diese von verflickten und ausgetragenen Kleidungsstücken zu nehmen. Wenn sich unsere Ehemänner unserer Idee widersetzen, so sollen sie ebenfalls ihren Preis bezahlen! Die von ihnen geliebten Kleidungsstücke nehmen wir ihnen weg und verwenden sie auch für den Wandbehang. Natürlich nur im Falle, dass sie uns trotzen. Sieht das nicht langweilig und fade aus? fragte Frieda. Alles in der gleichen Farbe? Die andern Frauen stimmten ihr zu. Farbenprächtig sollte das Werk werden. Woher aber jetzt farbige Stoffresten nehmen? Das ist einfach unmöglich. Ausser wir färben unsere Lumpen ein. Doch wo konnte man richtige Stofffarbe hernehmen? Ein Problem zog das andere nach. Doch da wusste Grete einen Ausweg: Wisst ihr, ich habe einen Onkel in der Stadt, der ist Apotheker, und er weiss sicherlich Rat. Ich fahre sowieso morgen in die Stadt, da werde ich schnell bei ihm vorbeischauen und mich erkundigen. Was zieht ihr denn für eine Farbe vor? Die Frauen konnten sich auf keine Farbe einigen und so beschloss man, es Grete zu überlassen, welche Farbe man nehme. Plötzlich fragte Berta: Wisst ihr eigentlich, wie spät es ist? Ich soll schon längst zu Hause sein. Da entgegnete Anna: Ein bisschen mehr oder weniger Verspätung spielt jetzt keine Rolle mehr. Wichtig ist, dass wir Frauen ein Ziel gefunden haben, dem Bürgermeister zu helfen. Marie lächelte: Ich möchte Ihnen allen vielen Dank sagen. Hoffentlich wird jetzt alles wieder gut. Ich freue mich so sehr. Das waren die letzten Worte, die am Brunnen gewechselt wurden, dann strebten die Frauen heimwärts.

Das Durcheinander ist komplett

Grete hatte von der Stadt gute Kunde gebracht, dazu zwei Pfund von einer französischen Wurzel. Von ihrem Onkel hatte sie erfahren, dass man das Anstellen dieser Wurzel in kaltem Wasser und anschliessender Erwärmung einen roten Farbstoff erhielt. An einem geheimen Ort richteten sich die Frauen eine Färberei ein. Eimer mit roter und gelber Farbbrühe standen bereit. Um den Mond einzufärben, riet der Apotheker seiner Nichte, sie solle Färberkraut verwenden. Davon hatte Grete ein Pfund mitgebracht. Somit waren also diese Probleme gelöst. Das Zusammennähen war aber eine andere Sache. Die Männer sollten nichts merken. Wenn alles schlief, stahlen sich die Frauen aus dem Hause, um bis spät in die Nacht hinein die Kleiderresten aneinanderzunähen. Wenn die Bäuerinnen sahen, wie der Wandbehang schöner und schöner wurde, waren sie überglücklich. Weniger glücklich waren sie allerdings, wenn sie ihren grimmig dreinschauenden Ehemännern begegneten. In der Sonne berichteten die Männer einander ihre Not, dass jede Frau nun zu Fritz hielt. Auch Fritz machten die letzten Tage zu schaffen. Die unrühmliche Geschichte musste jetzt endlich ein Ende nehmen. Er musste in den sauren Apfel beissen und sich entschuldigen. Wenn das Entschuldigen nur nicht so schrecklich kompliziert wäre, grübelte Fritz. Er sann nach einer Möglichkeit, die ihm den schweren Schritt erleichtern könnte. Plötzlich hatte er eine Idee. Er rief seinen Sohn Markus zu sich. Ihm gab er den Befehl den Ausrufer Theodor zu suchen und diesen zu ihm zu rufen. So kam es, dass Tag's darauf, Strass auf, Strass ab, der Ausrufer unterwegs war und mit lauter Stimme verkündete: Sonnabend sind alle Männer und Frauen eingeladen, bei einer Zusammenkunft dabei zu sein. Treffpunkt bei der grossen Linde. So spricht der Bürgermeister. Diese Botschaft wurde unterschiedlich aufgenommen. Die Bäuerinnen stöhnten: Schon am Sonnabend! Wir müssen uns beeilen, um unser Geschenk fertig zu machen. Die Männer rebellierten: Kommt nicht in Frage, jetzt einer Zusammenkunft beizuwohnen. Fritz will uns nur wieder eine solch hirnverbrannte Idee aufschwatzen. Er soll am Sonnabend allein predigen. Doch die Männer hatten nicht mit ihren Frauen gerechnet. Sie bearbeiteten ihre Männer. Einstimmig - beschlossen sie: Kein Mittagsmahl würden sie mehr zubereiten, es sei denn, die Männer würden sich anders besinnen und am Sonnabend der Versammlung beiwohnen. Unter dem Druck der Frauen gabem sie schliesslich auf. Eine Bedingung stellten jedoch die Männer: Wenn wir Sonnabend zur Linde Kommen, dann nur, wenn uns der Fritz nicht wieder einen solchen Bären aufbinden will.

Das letzte Spiel Der grosse Tag nahte. Knechte trugen Tische und Bänke zur Linde. Fackeln wurden in die Erde gesteckt und angezündet. Alles, was Beine hatte, war anwesend. Man hatte kaum Platz unter der Linde. In der Mitte standen zwei Tische nebeneinander. Sie sollten als Podium dienen für den oder die Redner. Da trug der Knecht des Bürgermeisters ein Fass herbei. Auch Marie trat hinzu, einen grossen Korb schleppend. Aus dem Dunkel der Nacht trat Fritz, der Bürgermeister. Er stieg kurzerhand auf's Podium. Jetzt war es still geworden. Die kräftige Stimme des Bürgermeisters liess die Gemeinde aufhorchen. Liebe Stettemer! Heute abend habe ich euch aus einem bestimmten Grunde hierher bestellt. Der Frieden in unserem Dorf ist gestört. Niemals habe ich gedacht, dass diese, von mir allein erfundene Geschichte vom liegenden Mond so viel Aufregung und Streit hervorrufen könnte. Ich muss euch gestehen, die Sache hat mich gereizt, um herauszufinden, wie ihr Mitmenschen auf meine Forderung reagieren würdet. Leider habe ich nur den allergrössten Streit angezettelt. Die Frauen mussten mich durchschaut haben, doch da war es schon zu spät. Ich habe mir schwere Vorwürfe gemacht. Nun stehe ich vor euch und bitte euch schlicht und einfach: Verzeiht mir die Versuchung, die ich an euch erproben wollte. Ich habe einen grossen Fehler begangen. Aus meinem Keller habe ich ein Fässchen Wein mitgebracht. Die Indianer haben einst als Zeichen der Versöhnung die Friedenspfeife geraucht. Wollt auch ihr euch mit mir versöhnen, dann trinken wir einen Becher Wein miteinander. Die Rede des Bürgermeisters hatte auf alle einen tiefen Eindruck gemacht. Nun strömten die Leute von allen Seiten zum Podest, um einen Becher Wein zu ergattern. Manch ein Bürger drückte Fritz verstohlen die Hand. Jeder war froh, dass die Geschichte glimpflich abgelaufen war. Nun stieg Frieda auf das Podium und verkündete mit lauter Stimme: Liebe Anwesenden! Im Namen aller Stettemer Frauen möchte ich um Aufmerksamkeit bitten. Es gibt noch ein Geheimnis zu lüften. So ganz richtig fanden wir das Handeln des Bürgermeisters auch nicht. Wir taten nur so, als ob wir die Mondgeschichte geglaubt hätten, und so haben wir beschlossen, dem Bürgermeister ein ewiges Andenken an den liegenden Mond anzufertigen. Wir hoffen, dass der Bürgermeister Freude daran hat. Eigentlich wäre noch eine Bedingung damit verknüpft. An einem gut sichtbaren Ort sollte dieser Gegenstand aufgehängt werden.
Nicht wenig überrascht stieg Fritz auf das Podest. Frieda Überreichte ihm feierlich eine grosse Rolle. Er bedankte sich höflich und begann sorgsam die Bändel darum zu lösen. Was nun zum Vorschein kam, war wahrlich ein kleines Kunstwerk! Das Gesicht von Fritz leuchtete vor Freude. Gerührt wandte er sich an die Leute: Was ihr Frauen mir geschenkt habt, ist so unglaublich schön, dass ich es kaum fassen kann. Vielen, vielen Dank! Ich werde das Prunkstück über meinem Bett aufhängen. So werde ich morgens und abends gewarnt sein, nie wieder eine solche Dummheit zu begehen. Zudem werde ich, wenn mein Amt als Bürgermeister einst zu Ende ist, den Wandbehang meinem Nachfolger weitergeben. So soll diese Wahrzeichen wandern, von Bürgermeister zu Bürgermeister. Die Leute klatschten Beifall. Die letzte Spur von Ärger war verflogen. Die Stettemer sassen glücklich unter der Linde und sangen bis tief in die Nacht hinein.

Die Arbeiterkolonie Pantli / Schweizersbild

Die Bilder wurden uns freundlicherweise von Dr. Peter Scheck, Stadtarchivar Schaffhausen, zur Verfügung gestellt.

Die Kolonie Schweizersbild


Die erste bedeutende Strukturveränderung der Bauerngemeinde Stetten geht auf die Zeit des ersten Weltkrieges zurück, als am Rande des Gemeindebannes die Kolonie Schweizersbild erbaut wurde.

Über deren Entstehung lesen wir in der Schriftenreihe zum 150. Jahrestag der Begründung der +GF+ Werke "Soziales Wirken": Die zweite Periode der Tätigkeit unseres Unternehmens im sozialen Wohnungsbau dauerte von 1916 bis 1921. Sie war beherrscht von der allgemeinen Wohnungsnot, die während der Kriegsjahre ein katastrophales Ausmass annahm und die Unterbringung der zuwandernden Arbeiter sozusagen unmöglich machte. Unter diesem Übelstand litt namentlich das abseits gelegene Werk Birch. Aus dieser Situation heraus erwuchs 1916 der Plan, auf einer unweit vom Werk, auf Gemarkung Stetten gelegenen Terrasse eine Kolonie ins Leben zu rufen, die nach der benachbarten prähistorischen Stätte "Schweizersbild" getauft wurde. Den Zeitumständen entsprechend, die eine weitgehende Selbstversorgung als ratsam erscheinen liessen, verband man die in Reihenhäusern untergebrachten 26 Wohnungen mit kleinlandwirtschaftlichen Gebäuden und teilte ihnen eine entsprechende Fläche Garten-, Wies und Weidland zur Bewirtschaftung zu. Der Siedler sollte imstande sein, Kleinvieh zu halten und so mit Bezug auf Milch, Gemüse und Obst aus dem eigenen Anwesen zu leben.
Architekt Arnold Meyer aus Hallau entwarf die Siedlung. Gebaut wurde sie vom Oktober 1916 bis März 1918. Die Baukosten betrugen Fr. 36.- pro m3 umbauten Raumes, was bei einem Gesamtvolumen von 16400 m3 einen Gesamtkostenbetrag von Fr. 591'500.-- ausmachte.
Diese interessante Lösung einer Arbeiter-Kolonie wurde nicht wiederholt. Die Erfahrung lehrte, dass die Verbindung von Fabrikarbeit und Kleinlandwirtschaft nicht befriedigte. Es hatte sich nämlich gezeigt, dass gerade die Eifrigen und Fähigen unter den Siedlern Gefahr liefen, von der Arbeit in Stall und Feld über Gebühr in Anspruch genommen zu werden. Als Ganzes aber ist das Ziel, kinderreiche Familien in eine von der Stadt gelöste Landschaft, mitten in das selbständigere, aber auch einfachere Landleben mit seinen Freuden und Mühen hineinzusetzen, erreicht worden.
Während der Krisenjahre und während des zweiten Weltkrieges standen die "Pantlianer" besser da als jene Arbeiter, die in der Stadt privat eine Wohnung mieten mussten. Die teilweise Selbstversorgung musste wohl hart erarbeitet werden, doch dieser Aufwand brachte in diesen schweren Zeiten eine gewisse Sicherheit und Unabhängigkeit. Eigenartigerweise blieben die "Pantlianer" trotz der geschilderten Vorzugsstellung gesellschaftlich immer Aussenseiter.
Die meisten "Panlianer" hörten schon während des Krieges mit der Haltung von Kühen auf. Man hielt vor allem Kleinvieh und betrieb Gartenbau, so dass eine Selbstversorgung auf Teilgebieten immer noch gewährleistet war. Erst in den letzten Pantlijahren, als der aufkommende Wohlstand auch vor dieser Kolonie keinen Halt machte, liess die Bewirtschaftungsintensität nach.
Man darf sagen, dass das Verhältnis der Stettemer zu den Pantlianern während all der Jahre gut war, obwohl oft verschiedene politische Meinungen vertreten wurden. Stettemer wie Pantlianer waren aber zu wenig extrem und militant, als dass sich das Verhältnis längerfristig hätte trüben können. Die Kinder besuchten in Stetten die Schule. Diese bereitete manchen viel Mühe. Dazu war der Schulweg lang, dafür erlebnisreich, im Winter aber oft hart. Mehrere erfolgreiche Klassenzusammenkünfte der letzten Jahre zeigen, dass viele gute Erinnerungen zurückgeblieben sind.
Nach dam Krieg begann die Stadt immer mehr gegen Herblingen zu expandieren. Damit rückte auch das Pantli der Stadt immer näher. Die Pantlianer begannen sich mehr und mehr nach der Stadt zu orientieren. Die Verbindungen nach Stetten pflegten nur noch einige traditionelle Pantlianer Familien. Von diesen sollen die Webers speziell erwähnt werden. Ernst Weber diente der Gemeinde Stetten während langer Jahre in verschiedenen Ämtern, zuletzt im höchsten, dem eines Gemeindepräsidenten.
Während der Sechziger Jahre begann der unaufhaltsame Abstieg der Kolonie. Der allgemein steigende Wohlstand machte auch vor dem Pantli keinen Halt. Autos wurden vor den Wohnungen parkiert, ehemalige Ställe in Garagen umfunktioniert. In vielen Stuben flimmerten Fernsehapparate. Stimmen nach vermehrtem Komfort der Wohnungen wurden laut. Doch die +GF+ Werke konnten und wollten aus Kostengründen diese Wünsche nicht erfüllen.
Die Idee der Selbstversorger-Kolonie war nur noch Legende. Viele, zum Teil auch alteingesessene Pantlianer, verliessen die Kolonie und suchten komfortablere Unterkünfte. Der Wunsch nach eigenem Badezimmer, Zentralheizung, kaltem und warmem Wasser war grösser als der Hang zu Altem, Liebgewonnenem. Ende der Sechziger Jahre gelang es der Liegenschaftenverwaltung nicht mehr, das Pantli schweizerischen Mietern schmackhaft zu machen. Ausländerfamilien, denen ein niederer Mietzins mehr bedeutete als Komfort, bezogen die leerstehenden Wohnungen. Damit waren die letzten Traditionen gebrochen. Anfangs der Siebziger Jahre begannen auch viele der Ausländerfamilien aus dem Pantli auszuziehen. Langsam aber sicher wich das Leben aus der Kolonie. Anfangs 1975 waren gerade noch 4 der 26 Wohnungen bewohnt.
Im Jahre 1972 war erstmals von einer Grossüberbauung Pantli die Rede, der die alte Kolonie hätte weichen müssen. Diese war gigantisch geplant. Auf 90'000 m3 sollten 550 Wohnungen mit umfassender Infrastruktur entstehen. Zu Beginn der Rezession, in Anbetracht der rückläufigen Bevölkerungsentwicklung entschied man, vorläufig mit der Grossüberbauung zuzuwarten.
Am 16. Mai 1975 wurde die alte Kolonie Schweizersbild in einer Überraschungsaktion abgerissen. Damit waren die +GF+ Werke einer geplanten Besetzung der Wohnungen durch extreme Kreise zuvorgekommen.
Zum Schluss darf gesagt werden: Die Kolonie Schweizersbild, das Pantli, die als Pioniertat entstanden war, die aber nicht halten konnte, was man sich von ihr versprach, hätte es verdient, eines würdigeren Todes zu sterben.

Hans Frischknecht erzählt aus den 20. Jahren

Zu meiner Zeit hielten sich die Familien, neben der schweren Arbeit bei der Firma +GF+, einen kleinen Viehbestand. Kühe wurden gemeinsam gehütet, Schweine gemästet und geschlachtet. Das Fleisch, das über den Eigenbedarf hinausging, wurde verkauft, was jeweils ein willkommener Zustupf zu dem kleinen Einkommen war. Hasenställe wurden selbst angefertigt, die Hasen bis zur Schlachtreife gefüttert und an Feiertagen gebraten und verspeist. Aus den jeder Familie zugeteilten Pflanzplätzen wurde jede Sorte Gemüse gewonnen. Wir Kinder hatten bei diesem grossen und strengen Arbeitsanfall kräftig anzupacken und kaum Zeit, die schöne Umgebung zu geniessen.
Kinderreiche Familien hatten damals Mühe, eine ihnen räumlich und finanziell passende Unterkunft zu finden. Sie waren deshalb froh, in der Kolonie Pantli eine Bleibe gefunden zu haben. Den absoluten Rekord an Kindersegen hatte ein Ehepaar mit 14 Kindern, davon zweimal Zwillinge. Wo und wie diese geplagten Eltern ihre Kinder in der Vier-Zimmerwohnung unterbrachten, ist mir heute noch ein Rätsel.
Seltenheitswert hatte das am Rande stehende kleine Mehrzweckgebäude mit dem Beinamen "Sprützehüsli". Darin waren untergebracht: Das Feuerwehrmagazin mit Schlauchwagen und Auszugleiter, die Transformatorenstation für Licht und Kraft und ein Waschraum mit Badewanne. Einmal im Monat konnten die Hausfrauen im Waschraum ihre Wäsche waschen und mit ihren Angehörigen ein Bad nehmen. Die dem Pantli zugeteilte Feuerwehr ist meines Wissens nie zum Einsatz gekommen, gelöscht werden musste immer nur der Durst nach den Übungen.
Interessant für uns Kleinen war zu beobachten, wie Monteure der Firma +GF+ eine Drahtseilbahn vom Werk IV bis hinter das Pantli erstellten. An den Seilen aufmontierte Rollwägeli transportierten Abfall und Schlacke aus den Giessereiwerken, womit das Tal im "Brand" später aufgefüllt wurde.
Probleme mit unserer knapp bemessenen Freizeit kannten wir nicht. Wenn nicht "kriegerische" Auseinandersetzungen mit unseren Stettemer Schulkameraden auf der Tagesordnung standen, durchstreiften wir die nahen Wälder oder forschten im "Kegel" nach Überresten der Höhlenbewohner.
Der lange Schulweg bis Stetten hatte für uns seine Reize, wie auch seine Tücken. Die ersten Kontakte mit dem zarten Geschlecht vertieften sich öfters zu langanhaltenden Freundschaften. Im Winter, wenn oft Schnee bis weit über unsere Knie lag und der Pfadschlitten aus Stetten Mühe hatte, durchzukommen, gab es Verspätungen, die einem geordneten Schulbtrieb nicht förderlich waren. Unterrichtet wurde in zwei Klassenabteilungen. Die erste bis vierte Klasse waren die Unterschule, die fünfte bis achte Klasse waren die Oberschule. Bis zu 140 Kinder in allen Klassen besuchten in jener Zeit aus dem Pantli die Schule in Stetten.

Rosmarie Röthlisberger erzählt aus den 50/60 Jahren

"Es ist noch nie etwas Rechtes aus dem Pantli gekommen!" stellte mein Religionslehrer in der Realschule fest. Dies war das erste Mal, da ich mich fragte, ob es etwas Schlechtes sei, im Pantli geboren und aufgewachsen zu sein. Die Episode mit dem Religionslehrer war bald vergessen, da keiner der andern Lehrer oder Mitschülerinnen mich wegen meines Wohnortes verspotteten oder geringer achteten. Ja, es gab sogar Verehrer, die auch der weite Weg ins Pantli nicht davon abhielt, mich heimzubegleiten oder abzuholen.
Der zweite Schock war schon grösser, als nämlich die Firma +GF+ sich entschloss, das Pantli dem Erdboden gleichzumachen, als müsste man hier etwas vernichten, das nur negative Ergebnisse gezeigt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war mein Jahrgang längst erwachsen und meist von zu Hause weggezogen. Vielleicht gerade darum gingen viele Gedanken zurück an den Ort, wo man eine glückliche Jugendzeit verbracht hatte. Zugegeben, im Pantli wohnten viele einfache und manchmal allzu zahlreiche Familien, und trotzdem müsste man lange suchen, wollte man einen Pantlianer finden, aus dem nichts Rechtes geworden ist. Also können wir doch mit Recht stolz sein auf unser Pantli, auf unsere tüchtigen Väter und auf unser Heim, das uns auch ohne moderne sanitäre Anlagen die nötige Geborgenheit gab.
Ich erinnere mich noch gut an die ersten sonnigen Frühlingstage. Der Wald im April war übersät mit tausenden von blauen Leberblümchen und den weissen Sternen der Buschwindröschen. Wir banden sie zu kleinen Sträusschen und brachten sie den Hausfrauen an die Tür. Dann gab es viele Samstage, da wir den Eltern beim Holzen und "Wellen" machen helfen mussten, um für den nächsten Winter vorzusorgen. Voller Stolz wurden dann die sorgfältig gebundenen Wellen und die kunstvoll errichtete Scheiterbeige den Nachbarn und Spaziergängern präsentiert.
Wenn die Tage länger wurden, durfte man auch nach dem Nachtessen noch im Freien spielen und vergnügte sich bis zum Einnachten. Beim "Versteckisspiel". Manchen Abend sassen wir auf dem Waldbänkli und spielten zu dritt Gitarre, während alle beim Singen der neusten Schlager von Elvis und Freddy halfen. Natürlich gab es auch Regentage, die sich am penetranten Geruch der Jauchegruben ankündigten. Meist sammelten wir Jungen uns dann irgendwo in einem Schöpfli; die Velos wurden ausgeräumt, ein Plattenspieler aufgestellt und die ersten Tanzschritte gewagt.
Eine grosse Verbundenheit zwischen Gleichaltrigen schuf natürlich der gemeinsame Schulweg nach Stetten. Meist gingen die Unterschüler zu Fuss, die Grösseren besassen irgend ein altes Rücktrittvelo. Diese verhalf einem zur sicheren Flucht, wenn man auf dem Heimweg einem Stettemer Bauern Früchte vom Kirsch- oder Apfelbaum stibitzt hatte. Im Winter gar konnten wir alle mit dem Schlitten losziehen. Wir durften unser Mittagsbrot in der Schule essen und freuten uns auf eine schnelle Schlittenfahrt durch den Wald heim ins Pantli. Die wenigen Autos, die hier fuhren, waren noch keine Gefahr und der Schnee hielt auf der noch ungeteerten Strasse oft wochenlang.
Eigentlich haben wir im Pantli uns nie als Stadt-Schaffhauser gefühlt, auch wenn wir der Kirchgemeinde vom Münster und später der Zwinglikirche zugeteilt waren, auch wenn wir die Post aus der Stadt zugestellt erhielten, auch wenn über eine Eingemeindung in die Stadt gesprochen wurde, da wir für Stetten natürlich keine sehr interessanten Steuerzahler waren. Wir Kinder fühlten uns wohl mit den Stettemer Kindern zusammen, auch wenn der Lehrer manchmal seufzte, wenn bereits das fünfte Kind aus einer nicht allzu sehr begabten Pantlifamilie zu ihm in die Klasse kam.
Doch unsere Namen, wie Hanspeter und Ruedi, Dorli und Ursula passten gut zu den Namen der Bauernkinder: Trudi und Marianne, Kurt und Hans. Wir gehörten zu Stetten, die Kinder gingen dort zur Schule und die Väter zur Gemeindeversammlung. Wir feierten zusammen Weihnachten, das Examen und den 1. August. Es gab Pantlianer in der Schulbehörde, im Gemeinderat und einmal sogar einen Gemeindepräsidenten.